Chefanlagestrategin von Goldman Sachs

zu den turbulenten Aktienmärkten

“Bleiben Sie investiert”

Die Kursschwankungen der vergangenen Wochen sorgen für Nervosität bei vielen Anlegern. Im Interview verrät Sharmin Mossavar-Rahmani,
Chefanlagestrategin von Goldman Sachs, warum die aktuellen Krisen ihr längerfristig keine Sorgen bereiten.

Sharmin Mossavar-Rahmani sieht trotz der Ukrainekrise und der sich anbahnenden Zinswende am Aktienmarkt das Potenzial für weiter steigende Kurse. Die Leiterin der Investment-Strategy Group von Goldman Sachs empfiehlt ihren Kunden, die Aktienquote im Portfolio vorsichtig zu erhöhen. Hauptgrund für die Empfehlung der Bankerin, die die Reichsten der Reichen berät, ist, dass sie keine Rezession erwartet. Mossavar-Rahmani ist verantwortlich für die Anlagestrategie von Kundengeldern im Umfang von rund einer Billion Dollar und hat daher kein Interesse daran, dass verunsicherte Investoren Gelder abziehen. Darüber macht sie sich aber auch keine Sorgen. Sie plädiert dafür, bei der Vermögensanlage langfristig zu denken. Es sei immer leichter, in unterbewertete Aktien zu investieren, als aus überbewerteten Aktien auszusteigen.

Frau Mossavar-Rahmani, wir haben seit Jahresanfang viele Unsicherheiten an der Börse, jetzt spitzt sich auch noch die Krise in der Ukraine zu. Wie beurteilen Sie die Lage?

Die Entwicklung ist immer noch schwer einzuschätzen. Bei einem tatsächlichen Einmarsch Russlands in die Ukraine würden die Ölpreise als kurzfristige Reaktion noch weiter steigen, aber das heißt nicht zwangsläufig, dass sich die Inflation dauerhaft verstärken muss und somit die Gefahr einer globalen Rezession steigt. Natürlich würde ein militärischer Konflikt ein gewisses Risiko für das globale Wachstum darstellen, aber es ist schwer vorstellbar, dass ein lokaler Krieg zu einer globalen Rezession führen würde, wenn Russland nicht sämtliche Energieexporte stoppt.

Könnte nicht genau das passieren?

Das ist unwahrscheinlich, weil die russische Wirtschaft in Bezug auf Öl- und Erdgaseinnahmen dann noch mehr Schaden nehmen würde. Das würde Russland auch auf Dauer schaden, weil es dann als unzuverlässiger Handelspartner gelten würde. Die Aktienmärkte könnten zwar bei einer Invasion kurzfristig noch weiter unter Druck geraten, in diesem Fall würden aber wohl die Zentralbanken den Märkten keine Liquidität entziehen – und das könnte wiederum für Gegenbewegungen, also etwas steigende Aktienkurse, sorgen.

Die ganze Gemengelage macht aber viele Anleger nervös. Sie betreuen die besonders wohlhabenden Kunden: Sind die auch besorgt?

Ja. Wenn die Volatilität an den Börsen steigt, machen sich Investoren Gedanken. Aber: Volatilität gehört zum Aktienmarkt dazu. Zwischenzeitliche Korrekturen von bis zu zehn Prozent sind völlig normal und kein Grund, aus Aktien auszusteigen. Das sagen wir unseren Kunden immer wieder – egal ob sie nun 100.000 Dollar bei uns anlegen oder zehn Millionen oder 100 Millionen. Bei der Vermögensanlage sollte man immer langfristig denken, und langfristig spielen Schwankungen keine große Rolle.

Einige Zeichen scheinen aber auch unabhängig von der Lage alarmierend: Die Inflation in den USA ist auf ein 40-Jahres-Hoch gestiegen, die Zinsen ziehen an, die Gewinne von Tech-Unternehmen brechen ein.

Natürlich muss man die steigende Inflation ernst nehmen. Aber bei aller medialer Aufmerksamkeit, die das Thema aktuell erhält, sagen wir unseren Kunden: Lassen Sie sich nicht beirren! Wichtig ist es für Investoren zu unterscheiden: Was ist ein Signal, also eine aussagekräftige Information, und was sind Begleiterscheinungen nervöser Märkte? Die vielen Nachrichten über einbrechende Gewinne der Tech-Firmen muss man differenziert betrachten. Ja, viele Technologie-Werte haben enttäuscht, und das ist ein großes Thema. Aber insgesamt haben bislang rund 80 Prozent der Unternehmen aus dem S&P 500 mit ihren Quartalszahlen die Erwartungen übertroffen. Fakt ist: Wenn wir uns die Daten ansehen, kommen wir zu dem Schluss: Bleiben Sie investiert!

Sie selbst haben aber 2018 in einem Interview gesagt: Die Gefahr einer Rezession, die Rückkehr der Inflation und höhere Zinsen der Zentralbank seien Signale, um die Aktienquoten zu senken. Warum also jetzt investiert bleiben?

Weil wir aktuell keine Gefahr einer Rezession sehen. Nur weil die US-Notenbank Fed die Leitzinsen erhöhen will, heißt das nicht, dass wir eine Rezession bekommen. Dafür müsste die Fed die Zinsen deutlich aggressiver anheben als erwartet. Das würde aber allenfalls bei einem nochmals deutlichen Inflationsanstieg passieren, und den sehen wir nicht. Die US-Inflationsrate dürfte auch in den nächsten ein bis zwei Monaten noch über sieben Prozent liegen, aber danach wieder sinken, weil zum Beispiel der in den USA viel beachtete Anstieg der Preise für Neu- und Gebrauchtwagen nur vorübergehend sein dürfte.

Sie sehen also kein Risiko, dass die Fed die Zinsen so stark erhöht, dass sie die Konjunktur abwürgt?

Nein. Die Fed ist nicht auf Autopilot, sondern wird sich die Daten genau ansehen. Wenn die Aktienmärkte fallen und die Renditen an den Anleihemärkten steigen, verschärft das ja schon die Finanzierungsbedingungen und ist damit ein Äquivalent zu Zinserhöhungen. Und eine Anhebung der Zinsen auf 2,5 Prozent wäre lediglich eine Normalisierung und würde keine Rezession auslösen.

Nicht nur die Aktien-, auch die Anleihemärkte sind in Aufruhr. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen ist erstmals seit zweieinhalb Jahren wieder über die Marke von zwei Prozent gestiegen. Ist das ebenfalls kein Grund zur Besorgnis?

Anfang des Jahres haben wir für zehnjährige US-Renditen eine Spanne von 1,75 bis 2,25 Prozent vorhergesagt und fühlen uns mit dieser Bandbreite noch wohl. Die Renditen sind schnell gestiegen, aber das heißt nicht, dass es in diesem Tempo weitergeht. Und Sie sehen ja jetzt, dass Anleihen wegen der Unsicherheiten mit Blick auf die Ukraine als sichere Anlagen schon wieder gefragter sind und die Renditen etwas sinken. Gefährlich für den Aktienmarkt wäre erst ein Renditeniveau zehnjähriger US-Staatsanleihen von drei Prozent. Davon sind wir aber weit entfernt.

Anders als 2018 haben wir außer der Krise in der Ukraine aber mit Corona noch eine weitere Gefahr. Wie schätzen Sie die Bedrohung durch Corona ein?

Covid-19 bleibt eine große Unbekannte, und dieses Risiko muss man im Auge behalten. Die Gefahren der Omikron-Welle dürften weitgehend hinter uns liegen. Aber niemand weiß, wie sich das Virus noch entwickelt.

Gerade die US-Aktienmärkte sind trotz des schwachen Jahresstarts noch hoch bewertet. Ist das zusammen mit all den anderen Unwägbarkeiten nicht doch etwas zu gefährlich, um investiert zu bleiben?

Nein. US-Aktien sind zwar teuer, aber das heißt nicht, dass sie nicht noch weiter steigen können. Hätten wir eine exzessive Bewertung, wie wir sie zu Zeiten der Dotcom-Blase gesehen haben, wäre das ein Ausstiegssignal. Aber eine solch exzessive Bewertung sehen wir derzeit nicht. Zu Dotcom-Zeiten machten die hochbewerteten Unternehmen Verluste, sie waren meist höher verschuldet, und die Zinsen waren höher. Außerdem war damals die erwartete Gewinnrendite bei allen Unternehmen aus dem S&P 500 niedriger als die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen. Heute ist diese sogenannte Aktienrisikoprämie nur bei 13 Prozent der Unternehmen negativ. Daher sehen wir hier keine Blase, im Gegenteil: Im Vergleich zu Anleihen sind Aktien immer noch günstig bewertet.

Allerdings sind die Aktienmärkte aber auch schon seit Längerem sehr konzentriert. Amazon, Apple, Alphabet, Meta und Microsoft machen 23 Prozent der Marktkapitalisierung im S&P 500 aus und haben auch ein großes Gewicht im MSCI World. Macht Ihnen auch das keine Sorgen?

Die Konzentration bei der Marktkapitalisierung sorgt für eine hohe mediale Aufmerksamkeit, sagt aber letztlich wenig aus. Im vergangenen Jahr hat der S&P 500, der ja nach Marktkapitalisierung gewichtet wird, 29 Prozent zugelegt. Wir haben eine alternative Berechnung gemacht und alle 500 Aktien gleich gewichtet – Apple und Microsoft haben in dieser Berechnung das gleiche Gewicht wie zum Beispiel American Airlines und Under Armour. In dieser Berechnung hätte der Index 30 Prozent zugelegt. Es ist ein Mythos, dass nur wenige Aktien den Markt tragen.

Das alles hört sich so an, als sei nach dem schwachen Jahresstart das Schlimmste schon vorbei.

Wir haben keine Glaskugel und können nicht sagen, ob die Märkte kurzfristig nicht noch weiter fallen werden, gerade mit Blick auf die Ukraine. Doch das ist auch nicht entscheidend. Prinzipiell gilt aus unserer Sicht: Die erwarteten Wirtschaftswachstumsraten von global um die 4,5 Prozent und von 3,5 Prozent für die USA sind ein gutes Umfeld für Gewinnwachstum von Unternehmen und für Aktien. Deshalb sollten Anleger nicht aussteigen. Im Gegenteil: Wir raten unseren Kunden jetzt sogar, die Aktienquote im Portfolio vorsichtig zu erhöhen, denn nach dem schwachen Jahresstart ist das Potenzial gestiegen. Wir haben unser Kursziel für den S&P 500 per Jahresende nicht verändert und erwarten eine Spannbreite von 4.950 bis 5.050 Punkten. Der prinzipielle Aufwärtstrend an den Börsen ist seit der großen Finanzkrise intakt, und es ist nicht ratsam, sich gegen einen Aufwärtstrend zu stellen. Es ist leichter, in unterbewertete Aktien zu investieren, als umgekehrt aus überbewerteten Aktien auszusteigen.

Dann lassen Sie uns zu konkreten Empfehlungen kommen. Welche Vermögensaufteilung im Portfolio empfehlen Sie Anlegern und Anlegerinnen mit mittlerer Risikoneigung?

In unserem entsprechenden Musterportfolio für Euro-Anleger liegt die Aktienquote bei 41 Prozent. Der Großteil davon entfällt in allen Portfolios auf US-Aktien, weil wir in den USA ein höheres Gewinnmomentum für Unternehmen sehen und weil es in den USA mehr Technologieunternehmen gibt. Dabei gewichten wir Technologieaktien derzeit nicht stärker, als es der Markt hergibt. In Energiewerten sind wir dagegen übergewichtet. In Europa mögen wir vor allem Finanzwerte, weil die immer noch günstig sind. Anleihen haben in diesem Musterportfolio einen Anteil von 35 Prozent. Dazu kommen unter anderem Private Equity, also außerbörsliche Beteiligungen, kleinere Anteile zum Beispiel in Immobilien und Infrastruktur und ein geringer Anteil an Anlagen in Hedgefonds.

Spielt Gold keine Rolle in Ihren Portfolios?

Nein. Wir haben das breit analysiert, und aus unserer Sicht funktioniert Gold weder als Inflations- noch als Deflationsabsicherung. Der beste Schutz gegen Inflation sind Aktien, der beste Schutz gegen Deflation sind Anleihen. Daher braucht man kein Gold in einem Investmentportfolio, es erfüllt keinen Zweck.

Und was halten Sie von Kryptowährungen wie Bitcoin als Anlageklasse?

Nichts. Die Aussage, dass Bitcoin das digitale Gold sei, ist für uns kein Grund, etwas davon für unsere Investoren zu kaufen, weil wir ja eben auch kein Gold halten. Kryptowährungen sind sehr volatil, und sie sind kein effizientes Zahlungsmittel. Sie werden gehypt, aber wir empfehlen sie unseren Kunden nicht.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie sind seit 1993 Partnerin bei Goldman Sachs. Ist es für Frauen heute leichter, an der Wall Street Karriere zu machen, als früher?

Ja, ein wenig, weil heute weltweit stärker der Fokus darauf liegt, die Karrieren von Frauen zu fördern und sie in Führungspositionen zu entwickeln. Dazu beschäftigen sich mehr Menschen bewusst mit der Frage, ob sie unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen haben. Das ist eine gute Entwicklung. Ich hatte bei Goldman Sachs aber nie das Gefühl, dass ich als Frau Nachteile habe. Aus meiner Sicht bleibt entscheidend, dass man seinen Job gut macht – dann werden die Leute Gender-blind, und es ist gleichgültig, ob man eine Frau oder ein Mann ist.

Frau Mossavar-Rahmani, vielen Dank für das Interview.

Quelle: Handelsblatt vom 17. Februar 2022
Foto: shutterstock.com | 1461429284 © ImmersionImagery

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